Zukunft Ensdorf: Leben im Dorf
| Hans Babl | Mittelbayerische Zeitung
„Mehr als die Finanzkrise berührt die Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenlebens der so genannte Generationenvertrag, von dem man kaum noch hört“, stellte er fest. „Die Gesellschaft entwickelt sich in unbekannte Richtungen. Auch in Ensdorf stehen schon Häuser leer, die Zahl der Schüler geht zurück, während die Zahl der Pensionisten und Rentner steigt.“ Auch wie die Schullandschaft in der Zukunft aussehen wird, stehe zur Diskussion.
Für die Zukunft erwartet Tschaffon eine weiter benehmende Zahl an Kindern, zunehmende Aufgaben für Vereine und Pflege, Vorsorge fürs Alter, verstärkte Abwanderung, Verlust der Heimatbindung und der gesellschaftlichen Kontrolle, Familie als kein primäres Ziel mehr, Erschwerung der Lebensbedingungen allgemein durch Energiekosten und mangelnde Kontakte. „Dies führt zu Folgen für die Zu-Haus-Gebliebenen!“ betonte er und sprach das Problem des Leerstandes von Häusern, die Kosten für medizinische Versorgung und Vorsorge fürs Alter, Einkaufsmöglichkeiten an. „Es Herrscht Handlungsbedarf! Abwarten hilft nicht!“ stellte er klar.
„Der Abend soll einen Anstoß geben, die negativen Folgen der demografischen Entwicklung für Ensdorf zu verringern“, erklärte Wolfgang Fetsch, der die Podiumsdiskussion moderierte. Ausführlich beleuchtete Bürgermeister Markus Dollacker die Bevölkerungsentwicklung der Gemeinde Ensdorf und des Landkreises. „Bei den Geburten sind wir in Ensdorf wieder auf den Stand von 1996 zurückgefallen“ erklärte er. Dennoch könne Ensdorf nach einer Prognose des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung in den kommenden zehn Jahren seine Bürgerzahl halten und liege mit einem Minus von „nur“ 0,1 Prozent nach Vilseck, Königstein und Ursensollen auf dem vierten Platz im Landkreis. Allerdings sei zu bedenken, dass der Anteil der älteren Menschen wachsen, und der jungen abnehmen werde.
„Der demografische Wandel wird zu allererst bei den Gemeinden spürbar, z. B. wenn Wohngebäude leer stehen oder Kindergärten und Schulen wegen des fehlenden Nachwuchses nicht mehr ausgelastet sind. Als Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge stehen insbesondere die Kommunen in der Verantwortung, die Infrastruktur der sich ändernden Nachfrage anzupassen. Deshalb beschäftigt sich die gemeinde Ensdorf besonders mit den Auswirkungen des Rückgangs der Bevölkerung, wie in verschiedenen Gemeinderatssitzungen und in der Klausurtagung 2011 bereits geschehen“, betonte Dollacker. Als Handlungsfelder des demografischen Wandels nannte er interkommunale Kooperation wie gemeindeübergreifende Lösungen zur Sicherung einer attraktiven infrastukturellen Versorgung wie z. B. Zweckverbände für Schulen; gemeinsame Flächenerschließung bei der Bereitstellung von Planungsgebieten; Bündelung der Infrastruktur an zentralen Orten im ländlichen Raum (z. B. Schulen) sowie Förderung aktiver Regionalentwicklungsansätze und innovativer Lösungen. Hier nannte er namentlich den Treffpunkt Grün, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Ein weiteres Handlungsfeld sei „Umbau statt Rückbau“ von kommunalen Infrastrukturen wie „Reaktivierung der Nutzung unserer Ortskerne durch attraktivere Gestaltung“, vorrangige Nutzung von Siedlungsbrachen vor Flächenneuausweisungen wie mit dem Baugebiet „Am Hammerberg“ in Wolfsbach geschehen. Ferner gelte es die Bedürfnisse dem demografischen Wandel anzupassen wie durch neue Angebotsformen und Hilfestellungen für die wachsende Gruppe der älteren Mitbürger, Anpassung von Arbeitsstrukturen, verstärkte Angebote für Senioren. „Für eine familienfreundliche und soziale Gemeinde gilt es, Jugendarbeit, Vereine und Vereinsleben zu fördern, aber auch die Schaffung flexibler Kinder- und Seniorenbetreuung vor Ort, Förderung von Initiativen zur Wohnfeldumgestaltung und eine flexible bürgernahe Verwaltung zu schaffen.“
„Wir müssen über die kommunalen Grenzen hinaus zusammenarbeiten“, betonte Pfarrer Klaus Eberius von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Rieden. Er hob die „interkonfessionelle Arbeit“ mit dem Treffpunkt Grün als „klasse“ hervor. „Wenn ein Ort seine Schule verliert, verändert das den Ort kolossal“, gab er zu bedenken. Dies griff Pfarrer Pater Hermann Sturm auf. „Wie geht es im Schul- und Kindergartenbereich weiter?“ fragte er. Mit „Nur Mammutschulen machen im pädagogischen Bereich keinen Sinn“, brach er eine Lanze für die Schule am Ort. Am Rückgang der Kinder in Kindergärten sieht er den Beweis für den demografischen Wandel. Er verwies darauf, dass in Ensdorf ab Herbst im Kindergarten St. Jakob Kinderbetreuung ab zwei Jahren angeboten werde. „Eine Kinderkrippe für Ensdorf würde sich wegen geringer Nachfrage nicht lohnen, höchstens in Kooperation mit Rieden“, erklärte er.
„Große Umbrüche im Kloster“ sieht dessen Direktor Pater Christian Liebenstein. Er forderte „weiter gute Zusammenarbeit“ ein, sieht die Übernachtungszahlen im Bildungshaus „trotz low-budget als imponierend, dankte für Unterstützung von Orden und Diözese. „Auch die Einbindung in Ensdorf und Gemeinde hilft uns, ebenso die Caritas-Sozialstation“, lobte er. „Das Bildungshaus ist gesichert“, verkündete er. „Mit LEADER-Hilfe wird der Hof des Hauses der Begegnung als Begegnungsstätte ausgebaut werden. Das wird dann auch für den Ort Ensdorf und die Jakobspilger von Bedeutung sein. Ferner wird ein Kletterturm gebaut, der auch von anderen Jugendgruppen und die Jugend in und um Ensdorf genutzt werden kann.“
„Gegenwärtig ist die Lebensqualität in der Gemeinde Ensdorf durchaus zufrieden stellend zu bezeichnen“, so Siegfried Buchka, Pflegedienstleiter der Caritas-Sozialstation. „Für die Zukunft bedarf es aufgrund des demografischen Faktors Überlegungen, wie der Alterarmut und die Versorgung von allein stehenden Pflegebedürftigen entgegengewirkt werden kann. Glücklicherweise verfügt die Gemeinde Ensdorf über ortsansässige Ärzte, Krankengymnasten, Apotheke, ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen aus der in Form von Kooperationsvereinbarungen sich denkbar gute Lösungsansätze bieten, um dem Wohl der Bürger zu entsprechen. Diese Ressourcen würden sich ideal dafür eignen, ein Seniorennetzwerk für die Gemeinde Ensdorf zu gründen, zu der die bereits bestehenden Dienstleistungsanbieter im Verbund zum Wohle der Bürger beitragen können“, so Buchka in seinem Statement. Die Caritas-Sozialstation Ensdorf versorgt derzeit insgesamt 140 Patienten im südlichen Landkreis mit 34 Pflegefachkräften und Pflegekräften, darunter etwa 20 Patienten aus der Gemeinde Ensdorf. Dies erfolgt neben dem kirchlichen Auftrag auch mit kommunaler Unterstützung.
Von den Vereinen kamen Michael Dollacker (Feuerwehr) und Lothar Trager (Vorsitzender der DJK Ensdorf) zu Wort. Beide Vereine klagen über Nachwuchssorgen. „Uns fehlen Jugendliche. Wir versuchen es jetzt mit einer Kindergruppe und hoffen, dass sie uns dann bei der Stange bleiben. Immer schwieriger wird es auch, Mitglieder für die Übernahme von Ehrenämtern wie Vorsitzenden usw. zu gewinnen.“ Dollacker sieht für Ensdorf allgemein die Situation nicht ganz so schwarz. „Wir werden durch unsere Lage im Vilstal nie zu einem Industrieort. Aber wir müssen schauen, dass wir eine attraktive Wohngemeinde werden. Dazu muss das Umfeld geschaffen werden.“
„Vom demografischen Wandel ist die DJK im letzten Jahr voll betroffen worden“, erklärte Vorsitzender Lothar Trager. „Bisher wurde die Mitgliederfluktuation des mehr als 800 Mitglieder zählenden Vereins immer durch Neueintritt aufgefangen. 2011 war dies nicht mehr möglich. Wir haben 30 Mitglieder, vor allem Kinder verloren.“ Man versuche dem gegenzusteuern durch Angebote wie Mutter-Kind-Turnen, Leichtathletik, Gymnastik usw. Ferner werden junge Aktive zu Clubassistenten und Übungsleitern für zeitgemäße, anspruchsvolle Übungsstunden aus- und weitergebildet als Voraussetzung dafür, um das ohnehin umfangreiches Angebot vor allem im oberen Kinderbereich erweitern zu können. Dies sei aber immer schwieriger, da immer weniger bereit sind, Gruppen und Posten zu übernehmen. Trager kritisierte, dass Eltern ihre Kinder oft nur „abliefern“, weshalb man versuche Eltern mehr einzubinden. „Wir versuchen aber auch uns darauf einzustellen, dass die Menschen immer älter und im Alter immer aktiver werden. Darum haben wir das neue Angebot für den Seniorensport ‚aktiv und fit 59 +’.“ Dieses stellte Übungsleiterin Barbara Hernes vor. Abschließend betonte beide Vereinsvertreter: „Es soll nicht zu einem Wettstreit zwischen den Vereinen um die Jugendlichen kommen.“
Dann wurde nach einer kurzen Pause eifrig diskutiert. Dabei stellte Moderator Wolfgang Fetsch klar: „Ziel des Abends sind nicht Lösungen, sondern eine Bestandsaufnahme. Das Thema ist länger angelegt. Das war nur die Auftaktveranstaltung, sollte Anregung sein, damit sich mehr Leute mit dem Thema befassen. „Wir wollten ihre Meinungen hören.“ Allgemeines Fazit: Breit gefächerte soziale Strukturen sind nötig, Alleinerziehende brauchen mehr Hilfe, Grenzen müssen überwunden werden. Probleme sind nur gemeinsam zu lösen, gemeindeübergreifende Kooperationen suchen, nicht das eigene Süppchen kochen, Jugendtreff schaffen, Seniorennetz aufbauen, Bedürfnisse eruieren. „Ensdorf muss als Heimat bewusst gemacht werden. Man lebt nicht allein in der Gesellschaft, sondern zusammen!“